Seit dem Beginn der Moderne, dem Ende der mimetischen Kunst sind laut Boris Groys(1) die Kunstwerke selbst nur schwache Zeichen, die allein die Rezeption zu starken macht. (Wobei die Schwachheit der Zeichen den Kunstcharakter garantiert.) Seitdem ist der Rahmen der Kunst zum Problem des Kunstwerkes geworden. Das ist die dunkle Seite der Moderne und der Steinbruch der Postmoderne. Der einst strahlende Glanz der Autonomie von Kunst wurde stumpf an der Bedingung ihres Auftretens und ihres Wahrgenommenwerdens von der Welt. Der Rahmen der Kunst – sei er architektonisch, soziologisch, psychologisch oder sonst wie logisch –, eben der ganze Reigen der Bedingtheit von Erscheinung verabschiedete die Schönheit und ebnete sie ein unter der Relativität nicht ästhetischer Gesichtspunkte. Der Künstler, einst ein Genie, wurde der blinde Vollzieher und Spielball von Bedingungen, die er nicht mehr durchschaute, weil sie nicht zu seinem Fach gehören. Diese strukturelle Schwäche gebar den Kurator und das ganze Betriebssystem. Und auch die künstlerische Kritik an beiden. So wuchert die Kunst seit hundert Jahren an ihrem ungelösten Rand fort oder ignoriert auf sexy Weise, dass der Rahmen schon längst den Inhalt suspendiert hat wie die Verpackung das Produkt.

Kunst zu machen heißt heute entweder den Rahmen selbst zu definieren in der sie wahrgenommen werden soll oder sie von anderen definieren lassen.

Peter Reill  ist Künstler und Galerist, Designer und Unternehmer, Produzent und Vertreiber. In diese hybride Stellung begaben sich schon vor ihm Andy Wahrhol,  Martin Kippenberger, Joep van Lieshout oder Res Ingold: strategische Antworten auf die De-Professionalisierung der Avantgarde-Kunst in der alles Kunst ist (Duchamp) und jeder ein Künstler (Beuys). Wobei wir wieder bei den schwachen Zeichen wären.

Aus Bellaplastbechern tranken die StudentInnen der Maierklasse an der Akademie München auf ihren Festen den Wein. Dieser Becher rückte in den Fokus von Peter Reills Aufmerksamkeit und machte ihn zum Namensgeber seines Kunstunternehmens Reillplast. Sicher war es auch die Dissonanz von Plastik und Wein, die die Gedanken in Gang brachte. Doch was hier eigentlich passierte ist plastisches Denken im buchstäblichen Sinne. Wobei in der Doppeldeutigkeit des Wortes Plastik, die Möglichkeit und Unmöglichkeit des Materials als skulpturale Form eingeschrieben ist.  In dem tiefgezogenen Plastikbecher blitzte bei Peter Reill die Gefäßhaftigkeit von Skulptur auf, die in der Serialität, des industriellen Materials und Herstellung und der gesellschaftlichen (Vor)Codierung verschwunden ist.  Dieses Vexierpiel von Verborgen und Entborgen war die Faszination am Bellaplast Becher. Keiner der vielen Zeugen von Reills Firmenfindung während des gemeinsamen Umtrunkes stand dem Katholischen und dem Pathos so nahe, dass er festgestellt hätte, dass hier eine umgekehrte Transsubstantion stattfand. Stattdessen begann einer mit einem kleinen Vortrag, warum auch die Minimalart ein Ausbruchsversuch aus der Kunst ist und in ihr der Rahmen – das Problem der Fertigung – zur Kunst erhoben wird. Wodurch bekommt etwas Bedeutung jenseits subjektiver Setzung? Diese Frage stellte sich Reill und seine MitstudentInnen an diesem historischen Abend an dessen Ende das Produkt Reillplast  und die Erkenntnis stand: Je anonymer die Fertigung, je massenhafter das Produkt, desto wertvoller kann es werden durch eine andere Praxis. Mode ist Material plus Praxis.

Ein künstlerisches Produkt zu erfinden und sein eigenes Vertriebssystem zu gründen bedeutet, den Gedanken von Minimal von der Fertigung auf die Ebene des Vertriebs zu übertragen und die Objektivität von Marktkriterien zur Objektivität der Kunst zu machen.
Denn die Frage nach dem Rahmen von Kunst ist auch immer die Frage nach der Objektivität von Kunst.  Nur der totale Kosmos garantiert objektive Kreationen. Das wussten die Griechen, wenn sie die Kunst zur olympischen Disziplin erhoben, und die Christen wenn sie die Kunst ad majorem gloriam dei  machten. Solche Evidenzbeweise gibt es heute nur noch im globalen Markt und dessen Strategien.

Mit Reillplast plaziert Peter Reill sein Werk zwischen Produktion und Distribution, zwischen Werk und Markt. Reillplast ist gerade in seiner Materialhaftigkeit mehr Haltung als Werk. Und in seiner Diskurshaftigkeit pures Material.

Reill bedient sich verschiedenster Strategien und mixt sie neu. Das Plastik ist gleichzeitig Material, Gedanke und Gebrauch. Die Einrichtungsgegenstände im weitesten Sinne, die Reillplast herstellt und vertreibt, spielen alle mit der Spannung zwischen Serialität, Banalität, des armen Materials und der luxuriösen Einrichtung. Bisher entstanden: Ahoi Ball, Mikropool, Indoor Fishing, Indoor Gardening, Indoor Camping, Kunstsauna, Wartezimmer, Reillbahn, Instant Beach, Bergfahrten. Alles Attrappen eines Daseins im Überfluss. Splendid Objekts. Aber gleichzeitig in ihrer Verkleinerung kompatibel mit dem Platzangebot des Normalbürgers. Reillplast ist auch auf heitere Weise eine Kritik am Luxus, worunter letztlich die Kunst selbst fällt. Die Ladengalerie in der Amalienstraße funktioniert dabei als Modellraum und FlagshipStore in einem. Sie ist der notwendige Resonanzraum der Werke. Hier kippen sie zurück vom Material ins Label. Reillplast.

Reillplast ist ein Unternehmen, das aus der Not eine Tugend macht und die Not der anderen als Luxusproblem entlarvt. Peter Reill operiert hierbei von unten her. Vom Plastikweinbecher kommt er zum Produkt, übers Produkt zum Material, übers Material zum Label, über das Label zur Galerie. Er ist es, der den Rahmen um sein Werk baut. In einem ersten Schritt ganz pragmatisch. Dass dies auch eine konzeptuelle Befragung der Bedingungen Kunst ist, ist ein Surplus, das ganz leicht daherkommt. Reillplast ist eine künstlerische Strategie, sich mit den zur Verfügung stehenden Mitteln eine Plattform zu bauen, von der aus ein Netzwerk entsteht. Daher bespielen seine Galerie nur Freunde. Künstler, die er persönlich kennt und bei denen er beides schätzt Werk und Person. Wahrscheinlich schreibt in fünf Jahren jemand einmal einen Artikel über die Reprivatisierung von Welt: The Facebook Aspect in Art.

Michael Hofstetter 2010


(1) Boris Groys: The Weak Universalism, in e-flux journal #15 – april 2010